Machtpotential Stress ...

Stress ist für gute Suchtarbeit deshalb ein Thema, weil er in seiner negativen Form (Disstress) die Person als ganzes erfasst und beansprucht. Stress ist ein Zustand, der vom Organismus eine Anpassungsleistung erfordert. „Moderner Stress“ hat erhebliche Auswirkungen auf das individuelle Wohlbefinden, unsere Leistungsfähigkeit, soziale Funktionstüchtigkeit und Gesundheit allgemein. Er wird auf allen Ebenen des Menschen wirksam, d. h. physiologisch, im Verhalten und auch im Erleben. Uns interessiert in besonderem Maße seine Wirksamkeit in der Bewertung seines eigenen Zustandes, weil er hier einen direkten Bezug zu den verschiedensten Suchtmitteln hat.

 

Mechanismus der Selbstregulation

Den richtigen Umgang mit Stress zu finden ist unerlässlich für ein entsprechendes Gesundheitsverhalten und somit relevant für die Sucht- bzw. Abhängigkeitsproblematik. Hier zunächst eine anerkannte Definition dessen, was Stress ist und was ihn ausmacht:

Stress ist ein Muster spezifischer und unspezifischer Reaktionen eines Organismus (Mensch) auf auslösende Reizereignisse. Ein solches Reizereignis hat eine Qualität, den  Betroffenen aus dem Gleichgewicht (Homöostase) zu bringen, welche so stark ist, dass seine Fähigkeiten zur Bewältigung erheblich strapaziert oder sogar überschritten werden.

Die auslösenden Ereignisse werden in der Fachsprache als Stressoren bezeichnet und verlangen dem Organismus eine Anpassungsleistung (Adaption) ab. Gelingt die Adaption, ist der Mensch wieder ausgelotet und befindet sich im Gleichgewicht. Gelingt die Anpassung nicht, entstehen Krankheiten oder der Mensch stirbt.

Die Gesamtreaktion als Anpassungsleistung besteht aus vielfältigen Kombinationen von Reaktionen auf verschiedenen Ebenen:

  • der physiologischen Ebene,
  • der verhaltensbezogenen Ebene (sichtbares Verhalten),
  • der emotionalen Ebene
  • und zuletzt der kognitiven Ebene.

Die Individualität des Einzelnen bestimmt Richtung und Unterschiede im Reaktionsvermögen. Manche Menschen erleben ein stressreiches Ereignis nach dem anderen ohne Zusammenbruch, während andere wiederum bei wenig Stress gänzlich aus den Fugen geraten. Solche Differenzen einer Handhabung entstehen deshalb, weil die meisten Stressoren sich nicht direkt auswirken. Ihr Effekt hängt von anderen Bedingungen ab, die als Moderatorvariablen bezeichnet werden. Solche Variablen bestimmen die Auswirkung eines Stressors.

Die für diese Zwecke wichtigste Moderatorvariable ist die sogenannte kognitive Bewertung eines Stressors. Über dieses Instrument hat es der Einzelne in der Hand zu bestimmen, ob ein auslösendes Reizereignis als Bedrohung oder aber als Herausforderung betrachtet wird.

Eine weitere wichtige Moderatorvariable sind die Ressourcen, die jemandem zur Verfügung stehen, z. B.:

  • Geld (Materielles),
  • persönliche Kompetenzen,
  • persönliche Fertigkeiten,
  • der Bewältigungsstil, sowie
  • mögliche professionelle Hilfeleistung (Beratung).

 

Der Prozess der Stressverarbeitung

Bei akutem Stress: Beginn und Ende emotionaler Erregung ergeben sich aus dem auslösenden Stressereignis.

Bei chronischem Stress: damit ist Stress als Dauerzustand gemeint, verbunden mit kontinuierlicher Erregung.  

Damit eine Stresssituation bewältigt werden kann, gibt es eine Vielzahl körperlicher Veränderungen, die einheitlich erforderlich sind, um sich an eine derartige Situation anzupassen und diese zu verarbeiten:

  • Pupillen erweitern sich, Ziliarmuskeln akkommodieren auf Fernsicht,
  • Bronchien dehnen sich aus,             
  • Herzschlagrate steigt, ebenfalls die Stärke der Kontraktionen,
  • Verdauungstrakt verändert sich,
  • Leber schüttet Zucker aus,
  • Ausscheidungen der Pankreasdrüse werden unterdrückt,
  • Harnblase entspannt sich,
  • Blutgefäße der äußeren Genitalien erweitern sich,
  • Blutgefäße von Haut, Muskulatur, Gehirn und Eingeweide ziehen sich zusammen,
  • Schweißbildung verstärkt sich,
  • "Gänsehaut" entsteht,
  • Adrenalin wird verstärkt ausgeschüttet,
  • Verdauungsflüssigkeiten werden verringert,
  • analer Schließmuskel kontrahiert,
  • urethraler Schließmuskel kontrahiert.

Diese eingebauten Fähigkeiten mit körperlichen Bedrohungen umzugehen, haben sich aus der Evolution bewährt. Waren es in der Vergangenheit aber körperliche Stressoren, die die Stressreaktion hervorgerufen haben, sind es in der heutigen modernen Zeit für die meisten Menschen mittlerweile psychische Stressoren, die den Organismus beanspruchen und zu deren Bewältigung sie unangemessen sind. Für den Umgang mit psychischen Stressoren muss der Körper nicht zusätzlich Kraft und Energie bereitstellen, wie dies erforderlich ist, wenn über körperliche Aktivität Stress aufgelöst wird. Psychischer Stress hat trotzdem eine körperliche Komponente, die über geeignete Maßnahmen abgebaut werden sollte. So kann der Organismus wieder auf ein ausgewogenes Maß zurückgefahren werden. Fahrlässiger Umgang mit diesem Kriterium führt unausweichlich zu Funktionsstörungen, Krankheiten oder aber zu Verhaltensweisen, die unerwünscht und abweichend sind.

 

Chronischer Stress in der Psychobiologie - Das allgemeine Adaptionssyndrom (AAS)

Der österreichisch-kanadische Forscher und Endokrinologe Hans Selye ist wohl der bedeutendste Wissenschaftler auf dem Gebiet er Erkenntnisgewinnung in Sachen Stress. Bei seinen Arbeiten hat er sich vordergründig für Stressoren interessiert, die unsere Körperfunktion beeinflussen. In Selyes Stresstheorie gibt es viele Arten von Stress. Allen ist jedoch gemeinsam, dass sie eine Anpassung des Organismus verlangen. Neben spezifischen Reaktionen gibt es typische Muster von unspezifischen Reaktionen, die jeden Stressor begleiten. Selye bezeichnet dieses Muster als allgemeines Adaptionssyndrom (AAS). Dieses Syndrom ist gekennzeichnet durch eine charakteristische Abfolge in drei Phasen:

  • eine Alarmreaktion
  • eine Phase der Resistenz und
  • eine Phase der Erschöpfung.

Die sogenannte Alarmreaktion besteht aus den physiologischen Veränderungen, durch die ein bedrohter Organismus unmittelbar seine normale Funktionstüchtigkeit wiederherzustellen versucht. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein physischer oder psychischer Stressor vorliegt.

Dauert eine stressauslösende Reaktion an, so folgt auf die Alarmsituation die Phase der Resistenz, während der Organismus einen Widerstand gegenüber dem Aggressor zu entwickeln scheint. Obwohl die belastende Stimulation fortdauert, verschwinden die Symptome, die während der ersten Phase auftreten und die physiologischen Prozesse, die durch die Alarmreaktion in Aufruhr geraten waren, normalisieren sich wieder. Diese Resistenz wird durch gesteigerte Hormonausschüttung vom Organismus bewirkt.

Wenn es auch während dieser zweiten Phase eine größere Resistenz gegenüber dem ursprünglichen Stressor gibt, so ist doch die Resistenz gegenüber anderen, neuen Stressoren reduziert. Jetzt kann sogar ein an sich schwacher Stressor eine starke Reaktion auslösen. Unrealistische Wutausbrüche erklären sich oftmals so, aber auch der jedem bekannte Zustand "an die Decke zu springen", also nichts mehr verkraften zu können.

All dies passiert, wenn die Ressourcen des Körpers durch den Widerstand gegen einen früheren, mächtigeren Stressor gebunden sind. Viele Menschen stellen beispielsweise fest, dass sie viel leichter gereizt reagieren, während sie sich von einer Grippe erholen.  

Die dritte Phase tritt ein, wenn der Organismus zu lange schädlichen Stressoren ausgesetzt ist. Es ist die Phase der Erschöpfung. Der Organismus kann die notwendige Produktion erhöhter Hormonausschüttung nicht länger aufrechterhalten. Die Anpassung gelingt nicht mehr. Viele Symptome aus der Alarmreaktion treten wieder auf. Wirkt ein Stressor auf den Organismus ein, so können die Zerstörung von Körpergewebe und im Extremfall sogar der Tod eintreten.

 

Ernährungskomponenten im Stressgeschehen

Kaum jemand hat aus sich heraus die Möglichkeit, sein persönliches Stressgeschehen selbst zu diktieren und das Ausmaß zu bestimmen. Den meisten Menschen bleibt nichts anderes übrig, als entsprechend zu reagieren. Was der Einzelne jedoch machen kann, ist all das umzusetzen, was in seinem Einzugsbereich liegt. Gleichrangig neben anderen selbstverantwortlichen Teilen gehört auch eine gesunde Ernährungsform dazu. Kenntniszuwächse in den letzten Jahren erlauben es, doch recht zielsicher stressbewusste Nahrungsmittel und Inhaltsstoffe in alltägliche Ernährungsgewohnheiten zu integrieren.

Schon ein geringes Ausmaß an Stress erhöht den Verbrauch von Nährstoffen aus Blut und Gewebe. Zunächst kann der Körper zwar auf seine Nährstoffreserven zurückgreifen, um Belastungen abzufedern, auf Dauerstress, dem viele unterworfen sind, ist der menschliche Organismus jedoch nicht eingestellt. Normale Kost reicht dann oft nicht aus, um den Nährstoffbedarf zu decken. Wichtig ist vor allem eine vermehrte Eiweißzufuhr. Das Vitamin B6 und Pantothensäure (in Bierhefe und Vollkorn) sowie Vitamin C sind ebenfalls hilfreich. Das Spurenelement Zink und der Mineralstoff Magnesium werden bei der Produktion von Stresshormonen benötigt und tragen dadurch dazu bei, mit Stresssituationen leichter fertig werden zu können.

Schlechte Ernährung und zu viel Stress schädigen unsere Nervenzellen. Selbst bei unterschwelligen Dauerbelastungen können die Nervenzellen des vegetativen Nervensystems geschädigt werden. Eine besondere Rolle für die Gesunderhaltung der Nerven übernimmt die sogenannte Myelinschicht als Schutzschicht der Zellen. Die Zufuhr der B-Vitamine Cholin und Inositol gewährleistet bestmöglichen Schutz der Nervenzellen. Optimale Nervennahrung sind Vollkornprodukte und Eigelb. Wichtig ist immer eine ausreichende Zufuhr von Vitamin C, am besten so dosieren, dass über den Tag verteilt immer Vitamin C im Körper ist. Das Vitamin wird für zahlreiche Stoffwechselvorgänge benötigt.

Damit trotz Stress die Leistungsfähigkeit erhalten bleibt, ist auf eine ausreichende Zufuhr von Glukose zu achten, welche zur Energiegewinnung dringend benötigt wird. Damit wir ruhig und entspannt bleiben, muss die Schutzschicht der Gehirn- und Nervenzellen ölig-feucht bleiben. Die Leitfähigkeit der Neuronen spielt eine Rolle, weil sich die nervös-elektrische Reizstauung beim Entspannen auf möglichst viele Nerven verteilen sollte. Diese Reizübertragung vollzieht sich in den Synapsen über wassergefüllte Kanälchen. Positiv bzw. negativ geladene Kalziumionen sorgen für den Signalsprung von Zelle zu Zelle. Ein Mangel an Kalzium im Blut führt deshalb zwangsläufig auch zu Unruhe und Nervosität, ist also stressverursachend. Nach Meinung von Biochemikern ist Kalzium das beste natürliche Beruhigungsmittel. Optimal versorgen können wir uns damit über Milch und Milchprodukte. Zudem liefert Milch biologisch hochwertiges Eiweiß und ein breites Spektrum an essentiellen Aminosäuren in bedarfsgerechter Zusammensetzung.

Zur sinnvollen Stressbewältigung gehört ausreichend Bewegung. Der Ausdauersport wird von vielen nicht nur aus Freude daran, sondern auch zum Zwecke der Entspannung und als Ausgleich zum beruflichen Alltag betrieben. Ab 90 Minuten Belastungsdauer können Ausdauerathleten über die Verbrennung von körpereigenem Eiweiß Energie produzieren. Neben der Energiegewinnung aus Kohlehydraten (Glukose) steht damit eine zweite Energiequelle zur Verfügung und kann genutzt werden.

Um trotz Stress optimal gesund zu bleiben, ist eine gute Versorgung der Nebennieren unerlässlich. Die Nebennierenrinde produziert normalerweise innerhalb von 24 Stunden 15 - 30 mg Kortisol. Wer vermehrt unter Stress steht, ringt seinen Nebennieren eine Überproduktion von bis zum 50 mg Kortisol ab. Dies kann dazu führen, dass das gesamte Hormon- und Peptidsystem nachhaltig gestört wird. Es ist also wichtig, die Nebennieren mit Biostoffen gut zu versorgen. Aus den Nebennieren wird auch Adrenalin bereitgestellt. Dieses Hormon wird dringend benötigt, um Stresssituationen zu überstehen.

Das oft gescholtene Cholesterin dient der Versorgung der Nebennieren. Damit Cholesterin in den Drüsen verwertbar gemacht werden kann, werden die B-Vitamine Cholin und Inositol sowie Vitamin C benötigt. Auch die Omega-3-Fettsäuren (in Fischölen) helfen bei der Verwertbarkeit.

Damit Stressabschnitte im Alltag aber auch im Leben gut überstanden werden, ist eine gesunde Ernährungsweise erforderlich. Weitergehende Literaturempfehlungen:

  • "Fit durch gesunde Ernährung" von Klaus Oberbeil
  • "Essen, was mein Körper braucht - Metabolic Typing" von W. Wolcott und F. Fahey
  • "Vitalstoffe - Bausteine der Gesundheit" von Dr. K. Glagau und Dr. G. Ohlenschläger . Dieses Buch beschäftigt sich mit der orthomolekularen Medizin. Hierzu beraten auch die Apotheken.

Für ausführliche Beratung gibt es eingerichtete Ernährungsberatungsstellen.

 

Bedeutung für die Suchtarbeit

Vorgenannte Exkursion ins Allgemeine spiegelt ausschnitthaft wieder, welche Bedeutung das Stressgeschehen für uns alle hat. Dabei kann es nicht darum gehen, den Stressfaktor vollkommen auszublenden. Der positive Stress (Eustress) lässt uns auf die Zukunft hoffen. Ihm entspringt die positive Dynamik, die wir benötigen, um uns zu entwickeln und der Welt eine tragfähige Zukunft zu bauen.

Der bereits erwähnte Disstress kann allerdings fatale Folgen entfalten. Er verändert Körperabläufe, die auch Auswirkungen auf unsere Psyche haben und die mitverantwortlich dafür sind, dass wir letztendlich unkontrolliert zu Suchtmitteln greifen. Wir Menschen regulieren uns auch, indem wir Substanzen mit Substanzen bekämpfen wollen. Damit greifen wir dann ein in ein an sich harmonisches Zusammenwirken von z. B. aktivierenden und beruhigenden Substanzen.

Gesteuert werden wir von einer natürlichen Tagesrhythmik, die wir in unserer modernen Industriegesellschaft regelmäßig über unseren Lebensstil manipulieren. Der persönliche Biorhythmus harmonisiert uns im Kontext der jeweiligen Umweltsituation. Um uns gesundheitserhaltend auszugleichen, produziert unser Körper auch sog. körpereigene Drogen. Ein Ungleichgewicht auf dieser psychosomatischen Ebene führt zu entsprechenden Störungen. So erhöhen psychische Stressbelastungen z. B. auch die Kortisolproduktion in unserm Körper. Ein Zuviel an Kortisol vermindert die Leistungsfähigkeit unserer Abwehrsysteme. Der Blutspiegel des körpereigenen Koritsols (Nebennierenproduktion) ist morgens gegen 8 Uhr 5 bis 10mal höher als um Mitternacht. Muten wir uns im Tagesverlauf zu viel Falsches zu, eliminieren wir ausgerechnet die Mittel, die wir für eine erfolgreiche Bewältigung dringendst benötigen. Verständlich also, dass wir uns überlastet fühlen und dazu tendieren, uns auf die falsche Art ausgleichen zu wollen (Substanzsucht). Wir bringen uns selbst in eine Art Notfallsituation, die wir dann über unser Konsumverhalten regulieren wollen. Jeder ist in der heutigen Zeit klug beraten, wenn er sich dazu entschließen könnte, z. B. auch den Hausarzt viel mehr in seine persönliche Lebenssituation einzubinden und sich dort entsprechend betreuen zu lassen.